Zanzibar
Sie lebte wie in einem Märchen aus 1001 Nacht. Prinzessin Salme aus Sansibar. Für die Liebe zu einem hanseatischen Kaufmann gab sie alles auf und riskierte ihr Leben.
Erinnerungen an das Schicksal einer starken Frau, die den Palast gegen eine fremde Welt eintauschte.
Sansibar 1888. Einmal noch das Rauschen des Indischen Ozeans hören, die würzige Luft einatmen und sich vom Geruch tragen lassen zu Erinnerungen an längst vergangene Tage als sie als Prinzessin Salme hier ihre Kindheit und Jugend verbrachte.
Es müssen wohl solche Bilder gewesen sein, die sie nun als Emily Ruete mit Wehmut erfüllt haben mögen, als sie wieder an Bord eines Schiffes ging. Vermutlich ahnte sie, dass es ihr letzter Besuch in der Heimat gewesen war. Jetzt blieb ihr nur das bisschen Sand, das sie kurz zuvor am Strand in einen kleinen Beutel gefüllt hatte, den sie nun zeitlebens bei sich tragen sollte.
Zwei Jahrzehnte zuvor hatte sie Sansibar schon einmal verlassen müssen. Heimlich im Schatten der Nacht hatten Helfer sie damals mit 22 Jahren an Bord eines britischen Kriegsschiffes gebracht. Eine arabische Prinzessin, Tochter des Sultans und schwanger von dem jungen Hamburger Kaufmann Heinrich Ruete. Es war eine verbotene Liebe zu einem Ungläubigen, die sie in Todesgefahr bringen konnte. Sie entschloss sich zur Flucht und zu einem Leben mit Heinrich im fernen Hamburg. Aus Salme, der Prinzessin Salme von Sansibar und Oman, wurde die hanseatische Bürgersgattin Emily Ruete. Doch ihr Glück währte nicht lange…
1844 als Tochter des Sultans von Oman auf Sansibar geboren, wächst Prinzessin Salme in orientalisch geprägtem Luxus auf. Ein außergewöhnliches Mädchen, wie sich bald zeigt. Die junge Prinzessin bringt sich selbst Lesen und Schreiben bei, lernt von ihrem Bruder, dem späteren Sultan, Reiten und Schießen. Als Zwölfjährige erbt sie nach dem Tod ihres Vaters drei Nelkenplantagen und führt die Geschäfte.
1864 begegnet sie Heinrich Ruete, der als Repräsentant einer Hamburger Handelsfirma auf der Insel lebt und der mit der Sprache und den Gebräuchen bestens vertraut war. Die beiden treffen sich immer häufiger und verlieben sich. Ihr Geheimnis lässt sich nicht länger verbergen. Salme ist schwanger – von einem Ungläubigen. Ein Skandal am Hof des Sultans. Ihr Leben scheint ernsthaft bedroht. Sie ist im vierten Monat, als sie ihre Flucht beschließt. Mit Hilfe des britischen Konsuls gelangt sie im Frühsommer 1866 an Bord eines britischen Kriegsschiffes, das mit Ziel Aden ablegt.
Indessen versucht Heinrich Reute verzweifelt, beim Sultan Verständnis für die Beziehung zu finden. Vergeblich! Er reist Salme nach Aden nach. Im Dezember 1866 wird ihr Sohn geboren und getauft. Auch Salme lässt sich christlich taufen und nimmt den Namen Emily an. Noch in Aden heiraten Heinrich und Emily und reisen danach weiter nach Hamburg. Eine beschwerliche Reise mit Schiff und Eisenbahn, die der Säugling nicht überlebt.
In Hamburg werden ihre drei Kinder Antonie-Thawka, Rudolph-Said und Rosalie-Guza geboren. Emily lernt Deutsch und beobachtet mit Staunen das bürgerliche Leben in Hamburg, wo ihrer Meinung nach oft das Geld mehr zählt als menschliche Wärme, wie sie in ihren Erinnerungen andeutet.
Im Sommer 1870 dann der schwere Schicksalsschlag. Heinrich stirbt bei einem Unfall. Als er von einer Pferdestraßenbahn springen will, rutscht er aus und wird überfahren. Plötzlich ist Emily allein mit drei kleinen Kindern. Ohne wirkliche Verbindung in die Gesellschaft und ohne wirkliche Freunde. Emily Ruete muss nun erfahren, dass auch in Europa Frauen wenig Rechte besitzen. Vormünder verwalten das Erbe ihres Mannes und bringen es bald durch. Sie zieht mit ihren kleinen Kindern in andere deutsche Städte. Verdient Geld als Arabisch Lehrerin und Übersetzerin. Immer wieder versucht sie erfolglos, Kontakt mit ihrer Familie in Sansibar aufzunehmen. Aber auch dort wird ihr das Erbe verweigert.
1885 reist sie mit den Kindern an Bord eines deutschen Kriegsschiffes nach Sansibar. Deutschland verlangt nach neuen Kolonien und schielt dabei auf Ostafrika und besonders auf die Gewürzinsel Sansibar. Reichskanzler Bismarck nutzt dabei Emily Ruete für seine Interessen und lässt sie auf Staatskosten nach Sansibar reisen. Emily, in der Zwischenzeit deutsche Staatsbürgerin, soll mit dem Sultan vermittelnde Gespräche einleiten. Aber das gelingt nicht. Einen Kontakt zu ihr lehnt die Sultansfamilie weiter ab. Deutschland verliert das Interesse an der Prinzessin und mit dem Helgoland-Sansibar Vertrag regeln Deutsche und Engländer ihre Gebietsinteressen und der Sultan akzeptiert angesichts der militärischen Macht den Anspruch der Deutschen auf die Insel.
1888 reist Emily Ruete noch einmal in ihre Heimat. Doch wiederum stößt sie auf Ablehnung.
Zwei Jahre zuvor sind ihre Memoiren erschienen, die zu einem Überraschungserfolg werden. Das märchenhafte Leben der Prinzessin fasziniert. Die Erinnerungen lösen aber auch Widerspruch aus: Auf Sansibar schuften Tausende Sklaven auf den Plantagen. Völlig selbstverständlich schreibt Salme über diese Zustände, die sie kaum kritisiert. Doch sie hält in dieser Frage den Europäern auch einen Spiegel vor. Auf Sansibar lassen auch Kaufleute aus Hamburg oder London Sklaven für sich arbeiten. Und sie vergleicht messerscharf mit den sozialen Zuständen in Hamburg. So schreibt sie beispielsweise: „Nirgends tritt der Kontrast zwischen armen und reichen Menschen so zutage, wie gerade hier im kalten Norden.“ Üppigen Luxus neben „herzzerreißender Armut“ habe sie hier gesehen. „Unwillkürlich musste ich einmal denken, dass von hundert Sklaven gewiss keine zwei mit dieser Freiheit tauschen würden.“
Als ihre Kinder erwachsen sind, verlässt Salme Deutschland und zieht in den Nahen Osten. Auch hier war sie wieder eine Fremde, aber in einer vertrauten, orientalischen Welt. Lange lebt sie bei ihrem Sohn Rudolph, der deutscher Diplomat in Beirut geworden ist. Erst 1920 entschließt sie sich zu einer Rückkehr nach Deutschland. Die Sehnsucht nach den Familien ihrer Töchter, nach den Enkelkindern „ihren kleinen Deutschen“ war wohl zu groß.
Bei ihrer Tochter Rosalie in Jena verbringt sie die letzten Lebensjahre. 1924 stirbt die Prinzessin dort – ohne Sansibar jemals wieder gesehen zu haben. Ihre Kinder begraben ihre Urne auf dem Hamburger Friedhof, neben dem Grab ihres Mannes. Den Sand aus ihrem kleinen Stoffbeutel legen sie dazu.
Nach einer Anregung von Axel Tiedermann basierend auf der Neuauflage der Memoiren von Emily Ruete erschienen unter dem Titel „Leben im Sultanspalast“ im Die Hanse Verlag.